Dies jedoch sage ich nicht in der Absicht, um junge Männer, denen es vielleicht an einer Naturgabe gebricht, gänzlich von der Beschäftigung mit der Beredsamkeit abzuschrecken. Und wollt ihr es wissen, so will ich vor vertrauten Freunden mit klaren Worten meine Ansicht aussprechen, die ich bis jetzt immer verschwiegen habe und zu verschweigen für gut hielt. Doch ich war der Ansicht, zumal da diese jungen Männer meine Zuhörer waren, nicht bloß das Bild eines Redners entwerfen zu müssen, der nur in den Gerichtsbänken zu Hause ist und nichts weiter vorbringen kann, als was das Bedürfnis der Rechtsverhandlungen notwendig verlangt, sondern ein höheres Ziel hatte ich vor Augen, als ich urteilte, der Redner dürfe, zumal in unserem Staat, keiner Kenntnis, die ihm zum Schmuck dienen könne, unteilhaftig sein. Cicero, Über den Redner (de oratore), 1. In beiden Fällen pflege man bei jedem vorkommenden Gegenstand des Streites zu fragen, ob er geschehen sei oder, wenn er geschehen ist, von welcher Beschaffenheit er sei, oder auch, welchen Namen er habe, oder, was einige hinzufügen, ob er mit Recht geschehen zu sein scheine. Um nun aber auf das Wichtigste zu kommen, welche andere Macht konnte die zerstreuten Menschen an einem Ort zusammenscharen oder von der wilden und rohen Lebensweise zu der jetzigen menschlichen und bürgerlichen Bildung leiten oder nach Gründung der Staaten Gesetze, Gerichte und Rechte anordnen? Wie? Vielmehr würdest du, wenn du ein Testament verteidigtest, die Sache so vortragen, als ob alles Recht aller Testamente auf diesem Gericht beruhe, oder, wenn du die Sache des Kriegers geführt hättest, so würdest du deiner Gewohnheit gemäß seinen Vater durch deinen Vortrag von den Toten erweckt und den Richtern vor die Augen gestellt haben, er hätte seinen Sohn umarmt und unter Tränen den Centumvirn empfohlen; alle Steine wahrlich hätte er zu Tränen und Wehklagen gerührt, so dass die ganze Formel: ‘Wie der Mund gesprochen’ nicht in den zwölf Tafeln, die du allen Büchersammlungen vorziehst, sondern unter den bei einem Schullehrer nachgeschriebenen Gesetzesformeln zu stehen scheinen würde. Ich urteile nämlich so: Auf der weisen Mäßigung des vollkommenen Redners beruht vorzüglich nicht allein seine eigene Würde, sondern auch die Wohlfahrt der meisten einzelnen und des ganzen Staates. Auf diese Weise ist dir der Rechtsgelehrte an und für sich weiter nichts als ein vorsichtiger und scharfsinniger Gesetzeskrämer, ein Ausrufer der gerichtlichen Verhandlungen, ein Ableierer von Formeln, ein Silbenstecher; aber weil der Redner sich der Beihilfe des Rechtes in seinen Verhandlungen bedient, so hast du deshalb diese Rechtswissenschaft der Beredsamkeit als Magd und Zofe beigegeben. Niemand, weil es feststeht, dass durch die später erfolgende Geburt eines Sohnes das Testament seine Gültigkeit verliert. Diese Website benutzt Cookies. Als ganz junger Mensch aber verlor ich zu Anfang einer Anklage147 so alle Fassung, dass ich dem Quintus Maximus von Herzen dafür dankbar war, dass er sogleich die Richterversammlung entließ, sobald er mich von Furcht entkräftet und geschwächt sah. Wer sollte, wenn er bei der Wissenschaft berühmter Männer den Nutzen oder die Größe ihrer Taten zum Maßstab nehmen will, nicht dem Feldherrn vor dem Redner den Vorzug geben; und doch, wer möchte bezweifeln, dass wir der vortrefflichsten Heerführer aus unserem Staat allein beinahe unzählige, in der Beredsamkeit aber hervorragende Männer kaum wenige anführen können? Denn wie schön es ist, sich vor dem Übel zu hüten, das wenigstens können wir auch ohne die Kenntnis des Rechtes wissen. Hinzutreten muss gleichfalls eine Art des Witzes und der Laune, eine des freien Mannes würdige Gelehrsamkeit, Schlagfertigkeit und Kürze im Antworten und Herausfordern, verbunden mit feiner Anmut und feinem Geschmack. So haben bei den Griechen die beredtesten Männer bei ihren Verhandlungen Rechtskundige in ihren Diensten, ich meine die, welche, wie von dir kurz zuvor bemerkt wurde, Pragmatiker heißen, da sie selbst in der Rechtswissenschaft sehr unerfahren sind. Wenn aber einer solchen Rede nicht ein Stoff zugrunde liegt, der von dem Redner erfasst und erkannt ist, so muss sie notwendigerweise entweder ganz bedeutungslos sein oder der Gegenstand allgemeinen Spottes und Gelächters werden. Erstlich, es sei Pflicht des Redners, überzeugend zu reden; zweitens, jede Rede beschäftige sich entweder mit einer Aufgabe über einen allgemeinen Gegenstand ohne Bezeichnung der Personen und Zeiten oder mit einem Gegenstand, der auf bestimmten Personen und Zeiten beruht. So wie zum Beispiel die Ballspieler beim Spiel selbst die der Ringschule eigentümliche Kunst nicht anwenden, aber schon ihre Bewegung anzeigt, ob sie die Ringkunst erlernt haben oder nicht kennen, und so wie die Bildhauer, wenn sie auch für den Augenblick von der Malerei gar keinen Gebrauch machen, doch nicht undeutlich zu erkennen geben, ob sie zu malen verstehen oder nicht, so offenbart es sich bei unseren Reden vor Gericht, in den Volksversammlungen und im Senat, auch wenn in ihnen andere Wissenschaften nicht ausdrücklich zur Anwendung kommen, doch leicht, ob der Redner sich nur in den gewöhnlichen Redeübungen herumgetummelt hat oder ob er mit allen edlen Wissenschaften ausgerüstet als Redner auftritt.". Quam ob rem ne frustra hi tales viri venerint, te aliquando, Crasse, audiamus. Redner vor allen anderen bewundere, und doch hat dieser das bürgerliche Recht immer verachtet. Mir erscheinen selbst diejenigen, welche sehr gut reden und dieses mit großer Leichtigkeit und sehr geschmackvoll leisten können, dennoch beinahe unverschämt, wenn sie nicht mit Schüchternheit auftreten und beim Beginn der Rede Verlegenheit verraten. [ Homepage | Klassen | Hellas 2000 | Stilistik | Latein | Lat.Textstellen | Griechisch | Griech.Textstellen | Varia | Mythologie | Ethik | Links | Literaturabfrage | Forum
Und da es, ich weiß nicht wie, unter ihnen ruchbar geworden war, dass ich wichtigere Rechtsverhandlungen, so wie du, zu führen pflegte, so versuchte jeder von ihnen, so gut er konnte, sich über den Beruf und das Verfahren des Redners auszusprechen. Mag auch die ganze Welt sich unwillig über mich äußern, ich will sagen, was ich denke: Wahrlich; die Büchersammlungen aller Philosophen scheint mir das einzige Büchlein der Zwölftafelgesetze, wenn man auf die Quellen und die Hauptplätze der Gesetze sieht, an Gewicht des Ansehens und an Reichhaltigkeit des Nutzens zu übertreffen. Ich meine eine bewegliche Zunge, eine klangvolle Stimme, eine starke Brust, Leibeskräfte und eine gewisse Bildung und Gestaltung des ganzen Gesichtes und Körpers. Und ich werde nicht, von der Wiege unserer ersten Schulbildung ausholend, eine Reihenfolge von Vorschriften geben, sondern das mitteilen, was, wie ich vernommen, einst die beredtesten und durch jede Würde hervorragenden Männern unseres Volkes in einer Unterredung abgehandelt haben; nicht als ob ich das verachte, was griechische Redekünstler und Lehrer hinterlassen haben, sondern da dies offen vorliegt und allen zugänglich ist und durch meine Auslegung nicht anschaulicher entwickelt und deutlicher ausgedrückt werden kann, so wirst du mir, lieber Bruder, wie ich glaube, gestatten, dass ich das bewährte Urteil derer, denen die Unsrigen den höchsten Ruhm in der Beredsamkeit zuerkannt haben, dem der Griechen vorziehe. Einem um so strengeren Gericht sind wir daher beim Reden unterworfen. Du hast ja oft den Wunsch gegen mich ausgesprochen, weil die Schrift, die mir in meinem Knaben- oder Jünglingsalter aus meinen Heften unvollendet und nur in rohen Umrissen entschlüpfte, kaum meines jetzigen Alters und der Erfahrung, die ich aus der Führung so vieler und so wichtiger Verhandlungen gewonnen habe, würdig ist, ich möchte über dieselben Gegenstände etwas Gefeilteres und Vollendeteres veröffentlichen. Im Zusammenhang mit dem Essay "Überfühlen" von Haimo L. Handl hier ein Auszug aus Ciceros Werk "De oratore / Über den Redner" in der deutschen Übersetzung von Raphal Kühner und mit Annotationen von Waltraud Künstler (2006): Cicero, M. T. (106 vC-43 vC) - Übersetzt und erklärt von Raphael Kühner (1802-1878). For what is so marvellous as that, out of cicego innumerable company of mankind, a single being should arise, who either alone or with a few others can make effective a faculty bestowed by nature upon every man? Zuerst wird hier vorgeschrieben, dass wir rein und echt lateinisch reden; zweitens, klar und deutlich; drittens und viertens, der Würde der Gegenstände angemessen und mit Anstand. 3 Ciceros Rhetorik: de oratore [Skript: Dr. P. Natterer] diesem Scipio Aemilianus, wie er auch genannt wird, ging die von Cicero vollendete Verbindung und Verschmelzung griechischer Bildung und Wissenschaft und Römischer Politik und Ethik aus. Die Peripatetiker aber würden dartun, die Stützen der Rede und die Mittel zu ihrer Verschönerung, die du für ein Eigentum der Redner hältst, müssten von ihnen entlehnt werden, und zeigen, dass Aristoteles und Theophrastos nicht nur bessere, sondern auch mehr Vorschriften über diese Gegenstände niedergeschrieben hätten als alle Lehrmeister der Beredsamkeit. Im allgemeinen lässt sich dasselbe auch ohne Unterweisung fassen und unterscheidet sich darin von jenen Gegenständen, dass die Stimme und das Gebärdenspiel nicht plötzlich angenommen und anderswoher aufgerafft werden kann, was hingegen aus der Rechtswissenschaft für jede einzelne Streitsache nützlich ist, selbst bei der größten Eile entweder von Rechtskundigen oder aus Büchern entlehnt werden kann. Du hast ja nach meinem und aller Urteil allen anderen Rednern – unsere jungen Freunde mögen mir dieses Geständnis nicht übel nehmen – kaum irgendeinen Ruhm übriggelassen. Nun fing man an einem Teil der Stadt, der kaum von jenem Haus aus erblickt werden konnte, ein Gebäude aufzuführen an. Die Hauptsache für den Redner nämlich, meinte er, bestehe darin, dass er denjenigen, vor denen er auftrete, so erscheine, wie er es selbst wünsche; dies werde durch die Würde des Lebens bewirkt, von der jene Lehrer der Beredsamkeit in ihren Vorschriften nichts hinterlassen hätten; und dass seine Zuhörer in ihrem Inneren so gestimmt würden, wie sie der Redner gestimmt wissen wolle; auch dies sei auf keine Weise möglich, wenn nicht der Redner gelernt habe, auf welche und auf wie vielerlei Weise, und durch welche Art des Vortrages die Gemüter der Menschen nach allen Richtungen gelenkt würden; das seien aber Geheimnisse, die ganz in der Tiefe der Philosophie versteckt und verborgen lägen, wovon jene Redekünstler sich nicht einmal eine oberflächliche Kenntnis angeeignet hätten. Warum können wir also nicht gleichfalls in dem bürgerlichen Recht, zumal wir uns in Rechtssachen, in Geschäften und vor Gericht abarbeiten müssen, hinlänglich gerüstet sein, wenigstens insoweit, dass wir unserem eigenen Vaterland nicht als Fremde und Ankömmlinge erscheinen? Als. Indes jedoch, bis dieser zerstreut liegende Stoff zu einem Ganzen verbunden ist, kann man sich mit einer hinreichenden Kenntnis des bürgerlichen Rechtes ausrüsten, wenn man sie auch nur überall stückweise aufliest und sammelt.